GRÜNER
LÖSUNGSANSATZ FÜR NACHHALTIGES BAUEN
LÖSUNGSANSATZ FÜR NACHHALTIGES BAUEN
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in städtischen Metropolen. In den nächsten 30 Jahren wird die Urbanisierung so weit voranschreiten, dass etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben wird.
Im Hinblick auf dieses rasante Wachstum wird es ohne Gegenmaßnahmen zwangsläufig einen Hauptleidtragenden geben: Unsere Natur!
Für
den Bau von Häusern und Infrastruktur werden jährlich unzählige
Grünflächen, Felder und Wälder vernichtet. Schon heute verbrauchen
Gebäude etwa ein Drittel des weltweiten Energieverbrauchs. Hinzu kommt
ein nur schwer abzuschätzendes Artensterben von teils unverzichtbaren
Tieren und Insekten.
Sind diese scheinbaren Widersprüche zwischen
Stadt und Natur überhaupt miteinander vereinbar? Das Entstehen von
hochmodernen Metropolen muss nicht zwangsläufig die Vernichtung von
lebenswichtiger Umwelt zur Folge haben. Architekten haben Möglichkeiten
erkannt, Natur und städtischen Lebensraum in Einklang zu bringen.
Dieser nachhaltige Lösungsansatz wird „Grüne Architektur” genannt. In städtischen Gebieten, in denen aus Platzmangel hauptsächlich in die Höhe gebaut wird, wächst das Grün einfach mit nach oben. Diese vertikale Begrünung trägt dazu bei, Mensch und Natur in dicht besiedelten Großstädten wieder zu vereinen.
Von der Realisierung innerstädtischer nachhaltiger Ökosysteme profitiert nicht nur die Natur, sondern auch der Mensch. Die Hauptakteure in diesen Systemen sind Bäume sowie Schling- und Kletterpflanzen, die vorwiegend selbstversorgend sind. Diese wachsen und bilden so ein Pflanzenkleid um sonst kalte und karge Betonfronten. Die vertikalen Gärten und Wälder an Häuserfronten helfen, unser Mikroklima dauerhaft zu verbessern, da Grünpflanzen CO2 binden und gleichzeitig Sauerstoff produzieren. Ihre Fähigkeit, Staubpartikel zu absorbieren, wirkt sich auch positiv auf die Luftbelastung aus. Luftreinigende Pflanzen filtern einen großen Anteil der Schadstoffe aus der Luft und tragen so zu einem besseren Stadt- und Weltklima bei.
Weitere Nebeneffekte erfreuen Hausbesitzer und Mieter zusätzlich: Durch einen natürlichen Wärmeschutz bzw. eine Wärmedämmung schaffen dauergrüne Pflanzen einen Isolationseffekt – im Sommer bleibt es kühl, im Winter warm. Heizkosten und die bei der Erzeugung von Wärme entstehenden Schadstoffe werden so reduziert. Die grüne Fassadengestaltung dient außerdem als natürlicher Schutzmantel, der sich um das Mauerwerk legt und die Lebensdauer von Gebäuden verlängern kann.
Die Bepflanzung von Fassaden, Balkonen und Dachflächen trägt dazu bei, den städtischen Lebensraum ökologisch sowie optisch aufzuwerten. Dabei spiegelt der natürliche Farbwechsel des Pflanzenkleides je nach Jahreszeit den verändernden Prozess der Natur mit all seinen Farb-Raffinessen wider.
Nicht zu vernachlässigen ist auch die hohe Lärmbelastung in großen Metropolen, der die Bewohner täglich ausgesetzt sind. Vorwiegend wird diese durch den Straßen- und Schienenverkehr erzeugt. Der Einsatz von Pflanzenfassaden absorbiert deutlich mehr Schallwellen und wirkt sich somit beruhigend auf die Lärmkulisse aus. Von der einkehrenden Ruhe profitieren nicht nur die Menschen, sondern auch diverse Insekten- und Vogelarten, die dadurch einen Teil ihres natürlichen Lebensraums zurückerobern können.
Die grüne, ästhetische Veränderung des Stadtbildes wirkt sich also auf unterschiedlichste Art und Weise auf seine Bewohner und deren Lebensqualität aus – für jeden ganz individuell.
Die Natur ist auf dem Vormarsch
Die Verwirklichung von grüneren Städten,
den sogenannten Green Citys, wird weltweit von Architekten geplant. In
Europa befinden sich die bekanntesten Gebäude in Italien und in der
Schweiz.
Beispielsweise reihen sich in Mailand seit 2014, neben
den vielen Sehenswürdigkeiten, die Vertical-Forest-Häuser des
italienischen Architekten Stefano Boeri in die Skyline ein. Im Norden
des Zentrums stehen die beiden Zwillingstürme, die unter dem Namen
„Bosco Verticale”, also „senkrechter Wald”, bekannt sind. Der Italiener
Stefano Boeri schafft mit den beiden bewaldeten Hochhäusern mitten in
der Stadt Platz für circa 900 Bäume und mehr als 20.000 Pflanzen. Das
entspricht einer bepflanzten Waldfläche von insgesamt 7.000
Quadratmetern. Die Auswahl der Pflanzen erfolgte in enger Zusammenarbeit
mit Botanikern vor Ort. Insgesamt 20 verschiedene Laub- und
Nadelbaumarten, die teilweise bei der Bepflanzung schon bis zu neun
Meter hoch waren und 80 zusätzliche Pflanzenarten wurden für die
Begrünung der Fassade ausgewählt.
Die grüne Erfolgsgeschichte von Stefano Boeri setzt sich in der Schweiz fort. Das neue Projekt trägt den Namen „Tour des Cèdres”, „Turm aus Zedern”, und wird in der kleinen Gemeinde Waadtländer mit 7.500 Einwohnern gebaut. Die Fertigstellung des 117 Meter hohen Turms ist für 2020 geplant und es wird das höchste Gebäude der französischsprachigen Schweiz sein. Die Architektur des Gebäudes sieht vor, rund 100 Zedern, circa 6.000 Stauden sowie knapp 20.000 Hängepflanzen und Bodendecker auf unterschiedlichen Flächen zu platzieren. Die Auswahl der Pflanzen besteht zu 80 Prozent aus immergrünen Bäumen, was das Projekt weltweit einzigartig macht.
Der Pioniergeist in Südostasien
Auf globaler Ebene finden sich die Anfänge grüner Architektur bereits seit 1992 in der Nähe der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur. Der selbst ernannte Öko-Architekt Ken Yeang realisierte damals das erste bioklimatische Hochhaus der Welt – den Menara Mesiniaga Tower.
Mit seiner langjährigen Berufserfahrung ist Ken Yeang in der Branche für sein ökologisches Bauen bekannt und hat zahlreiche „grüne” Projekte realisiert. Darunter auch das 2010 errichtete Solaris-Gebäude in Singapur.
Das fünfzehnstöckige Bürogebäude wirkt von außen wie ein großer zusammenhängender Komplex. In Wirklichkeit besteht das Gebäude aus zwei einzelnen Hochhäusern, deren Übergang durch ein gläsernes, natürlich-belüftetes Atrium ringsum verbunden ist. Weitere Besonderheiten des Gebäudes sind Dachgärten, Eckterrassen, ein Solarschacht und ein öffentlicher Platz im Erdgeschoss.
Das, was das Gebäude einzigartig macht, ist seine circa 1,5 Kilometer lange spiralförmige Rampe, die wie ein grünes Band an die Fassade herangebaut ist. Nach hinten heraus ist das Gebäude in mehreren Ebenen abgestuft, bis es auf Bodenebene fast nahtlos in den angrenzenden One-North Park übergeht.
Die besonders ausgeklügelte Technik für Regenwasser-Aufbereitung, Lüftungs- und Kühlanlagen sowie Sonnenlicht-Nutzung macht das Gebäude zu einem sich nahezu selbst versorgenden Ökosystem. Bei ausreichendem Tageslicht schaltet sich die sensorgesteuerte Innenbeleuchtung automatisch ab, was zu einer Energieersparnis von bis zu 36 Prozent führt. Durch die Bewässerung mit Regenwasser wird zugleich die Aufrechterhaltung des organischen Nährstoffgehalts gewährleistet.
Die umfänglich bepflanzte Fläche ermöglicht eine reiche Biodiversität, wobei das Gebäude den ökologischen Fußabdruck des ursprünglichen Standortes um 113 Prozent ersetzt, indem es bepflanzte Flächen innerhalb des Gebäudes einschließt.
Sauberste Metropole der Welt
Nicht ohne Grund wurde Singapur von ARCADIS – einem internationalen Anbieter von Beratungs-, Projektmanagement- und Ingenieurleistungen in den Bereichen Infrastruktur, Wasser, Umwelt und Immobilien – zur grünsten Stadt Asiens ernannt.
Die immergrünen Fassaden haben Singapur ebenfalls den Titel als „sauberste Metropole der Welt” eingebracht. Ein sehr gutes Beispiel hierfür ist das „Hotel Parkroyal on Pickering” im Herzen der Stadt. Die grüne Fassade des Hotels ähnelt mit überhängenden Kletterpflanzen einem urbanen Dschungel. Pools und Wasserfälle sorgen für Feuchtigkeit, Bäume und hohe Sträucher spenden Schatten auf allen Etagen. So bringt das Luxus-Hotel die Natur auf 15.000 Quadratmetern zurück in die Metropole. Das entspricht der Gesamtfläche des angrenzenden Hom Lim Parks und dem Doppelten der Hotel-Grundstücksfläche.
Nachhaltigkeit steht bei diesem Konzept im
Fokus. Die grüne Oase versorgt sich weitestgehend selbst. Regenwasser,
das auf den obersten Stockwerken aufgefangen wird, dient dazu die
Grünflächen ganzjährig zu bewässern. Auf dem Dach angebrachte
Photovoltaikanlagen versorgen die für bestimmte Pflanzenarten
notwendigen Wachstumslampen mit Strom.
Das Interior wurde von den
Architekten so abgestimmt, dass gemeinsam mit der grünen Außenhülle ein
harmonisches Gesamtbild entstand. Aufgrund der konsequenten Bepflanzung
in den Zimmern und Korridoren konnte komplett auf eine Klimaanlage
verzichtet werden – die Pflanzen übernehmen die Kühlung der Räume auf
natürliche Art.
Grüne Zukunftsaussichten
Bis 2050 wird
sich die global nutzbare Fläche innerhalb von Gebäuden voraussichtlich
auf mehr als 415 Milliarden Quadratmeter verdoppeln. Gemessen an einer
geschätzten Weltbevölkerung von 9,8 Milliarden Menschen im Jahr 2050,
könnte jeder Mensch circa 43 Quadratmeter für sich alleine nutzen.
Gleichzeitig kann der Energiebedarf von Gebäuden um bis zu 50 Prozent
steigen. Mit einer Nutzungsdauer von im Durchschnitt 50 bis 100 Jahren
sind heute getroffene Entscheidungen zu Gebäudearchitektur immens
wichtig, besonders in wachstumsstarken Regionen wie Indien, China und
Afrika.
Als
Beitrag zum Klimaschutz haben sich weltweit bislang 22 Metropolen
darauf geeinigt, dass bis 2030 alle neuen Gebäude klimaneutral gebaut
werden. Diese Städ- te sind Kapstadt, Kopenhagen, Durban, Johannesburg,
London, Los Angeles, Medellín, Montreal, New York City, Newburyport,
Paris, Portland, San Francisco, San Jose, Santa Monica, Stockholm,
Sydney, Tokio, Toronto, Tshwane, Vancouver und Washington DC. Bis 2050
sollen sowohl alle neuen als auch alle alten Gebäude klimaneutral
werden.